[OSZO 45]

„don’t step on the grass“

Modell 1:3

Edelstahlskulptur V4A spiegelpoliert  

pro Stab 100cm x 10cm x 10cm 

Auflage 10 / 2020

Text: Dr.Meinhardt Michael / Kunsthistoriker

Am Anfang sollte es nur Spaß sein, gut, mit Hintersinn.
Man stelle sich einen Deutschen in England vor, der als echt humorvoller Nachbar auffallen will und eine Panzersperre auf seinen gepflegten englischen Rasen stellt. Ritchie Riediger benutzte für sein Objekt für diese Zwecke nicht die kurze englische Aufforderung, sich dem Rasen bittschön fernzuhalten, sondern übernahm den Titel von der dänischen Band Laid Back: „Don’t Step on the Grass“. Das Objekt sei folgend kurz Panzersperre genannt. Die quasi Umkehrung des englischen Humors konnte darauf vertrauen, dass ein solches Gebilde noch im Bildgedächtnis vorhanden war. Schon die Fotos von der Berliner Mauer reichen dafür aus. Doch im Grunde gehörte es nicht zur mitteleuropäischen Gegenwart.
Erfunden hatten diesen ‚Igel‘ übrigens tschechische Soldaten in den 1930er Jahren. Die Wehrmacht übernahm die Panzersperre und erwarb das zweifelhafte Verdienst, den Tschechen-Igel weltweit bekannt zu machen.

Dann begann die Corona-Krise. Ritchie Riedigers Objekt wurde zu einer kleinen Serie, zerlegbar und präsentiert wie eine Preziose. Die kraftstrotzende, aber elegant veredelte Grundform begann zu oszillieren. Zum einen konnte man sie, ohne gleich quer zu liegen, als listigen Hinweis darauf verstehen, dass zuweilen mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Zum anderen geisterte drei Jahre lang der omnipräsente Virus mit seinen bösen Spikes, die sich in die Schleimhäute krallen, durch unser aller Tage und Träume. Will sagen, die beiden Objekte, formal zwar genügend voneinander entfernt, gerieten in schillernde Interferenzen: Die aggressive Spinne aus Stahl und das 80-140 Nanometer kleine, aber gefährliche Virus näherten sich einander gleichsam als knubbelig-kompakte Einzelkämpfer (beide wirken nur in Massen), der eine aus schwerer Materie, der andere ein Geist.

Dann begann der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Das Objekt „Don’t Step on the Grass“ verändert sich rigoros, ohne dass sich auch eine Kante der Panzersperre verzogen hätte. Das Objekt verliert schlagartig seine satirische Potenz. Die Panzersperre vermittelt plötzlich und unerwartet wieder ihren ureigenen Ernst. Ihr Ur-Bild verteidigt in der realen Welt, aber zur ‚guten‘ Form wird sie dadurch nicht. Das Objekt verliert mindestens zeitweise zwar zwei Segmente seiner möglichen Bedeutung (englischer Humor und Corona), aber es gewinnt zwei wesentliche andere Facetten hinzu.

Vor allem aus zwei Gründen: zum einen aktuell, zum anderen in der Zukunft. Im Moment nimmt das Objekt, von dem ein Exemplar der größeren Serie jetzt in einer privaten Züricher Kunsthalle gleichsam semi-öffentlich steht, an der politischen und moralischen Öffentlichkeit teil.

Doch die krasse Differenz von roher Gewalt und zeitgeistig eleganter Oberfläche, der Gegensatz zwischen brutaler Grundform und edler Anmutung, irritiert umso mehr. Man zückt eher das Staubtuch als das kostbare Stück in Gefahr zu bringen. Das Objekt „Don’t Step on the Grass“ würde real-rostig-räudig (man stelle sich vor) jetzt gar nichts mehr beziehungsweise alles nur platt vermitteln. In seiner/ihrer coolen Perfektion aber ist sie/es anstandslos zu goutieren. Das Objekt spiegelt (im Wortsinn und) sinnbildlich den sicheren Abstand zwischen uns, die wir den brutalen Ernst der Panzersperre nicht mehr – oder derzeit nicht – verdrängen können, die wir uns aber in einer Umgebung unfallfrei designten Edelstahls usw. weiter sehr wohl fühlen dürfen. Wir sehen zwar die Grundform, beruhigen uns aber noch mit der Oberfläche.

Und langfristig wird „Don’t Step on the Grass“ zum wunderbaren Exempel symbolischer Metamorphose. Das ist eine milieuinterne Qualität, die Kunstszene liebt die selbstreferentiellen Volten. Seit Ritchie Riedigers Übernahme und Veredlung der Panzersperre zum Objekt hat dieses in kurzer Zeit heftige Verwandlungen durchgemacht – ohne sich selbst zu verändern. Es wird damit zum besten Beispiel, wie frei und variabel Symbolik und Bedeutungszuweisung sind, sogar, wenn die Ausgangsform ganz und gar nicht offen, sondern sehr konkret ist. Auch wie sich Bedeutungsschichten zuweilen erheblich verschieben, und dass ein Kunstwerk zeitweise in konfuse Verwirrung geraten kann – „Don’t Step on the Grass“ ist gleichsam angewandte Bedeutungsforschung.

 

 

OSZO 45 – don´t step on the grass / 2020

Modell 1 : 10 

pro Stab 30 cm x 3 cm x 3 cm

Messing vernickelt, verchromt, 3 Schifterschnitte

eigens entwickelter Magnetmechanismus

in einer Box / Auflage 10